Flurina Hack

Ableger - gepard14 / Dominik Imhof

Oktober 2012

Flurina Hack – Ableger
gepard14
Dominik Imhof

Rote Linien schlängeln sich über die Wände des Ausstellungsraums. Wie ein Spaziergang um seiner selbst willen, ohne Ziel ziehen sich die Pinsellinien über die Flächen und wachsen zu chaotisch anmutenden Strukturen heran. Einmal sind die Pinsellinien im Farbauftrag dicht, um sogleich wieder körnig und flüchtig an Präsenz zu verlieren und beinahe vollständig zu entschwinden. Nur dann und wann formen sich – ganz selbstverständlich – aus den sich windenden Linien gegenständliche Gebilde: Die rote Farbe materialisiert sich zu einem Pferd mit Reiter, vielleicht mit einem Wagen, oder zu zwei weiblichen Figuren, die über die Fläche schreiten. Es sind Figuren der Bewegung, die einen Weg, ein Vorangehen in sich tragen. Diesen dynamisch belebten Farblinien setzt Flurina Hack die geometrisch-strengen Linien in rotem Klebeband entgegen. Mithilfe des Klebebandes zeichnet sie Maschinen, vielleicht einen Fleischwolf, einen Monitor, ein Teleskop, eine Kamera... Die Natürlichkeit der bewegten Pinsellinie verknüpft sich mit der Künstlichkeit der statischen Klebebandlinien. Aber auch diese sind Formen der Transformation und der Kommunikation, Formen eines Hier und genauso eines Dort.
Damit weisen die Linien – und was sich aus ihnen formt – bereits auf Flurina Hacks weitere Arbeit für gepard14. Die Linien des Innenraums werden sich nach Aussen, in das Quartier, ausbreiten. Die Titel gebenden Ableger werden sich in der Telefonzelle vor dem Ausstellungsraum und an weiteren Orten in der Umgebung materialisieren. Die Anwohner sind eingeladen, Dinge des Alltags in Rot vorbeizubringen. Im Tausch werden sie von der Künstlerin markierte Bleistifte erhalten. Im Laufe der Zeit entsteht so eine Installation, die als Gemeinschaftsarbeit die ganze Nachbarschaft verflechtet und diese so in den Ausstellungsraum befördert. Ein Projekt der Partizipation mithilfe von Kunst, eine Aufhebung von Hemmschwellen und Vorurteilen gegenüber dem elitären Ruf der Kunst. Gleichzeitig ist das Sammeln für Flurina Hack ein wichtiges Mittel, ebenso die Verwendung von alltäglichen Materialien und Fundstücken. Sie arbeitete mit Collage und Assemblage und benutzt dazu Verpackungsmaterial, Klebeband oder Putzlappen.
Die Grenzen von Privat und Öffentlich werden in ihrem Projekt aufgelöst, indem Anwohnerinnen und Anwohner ihre privaten Gegenstände vollkommen öffentlich zur Schau stellen. Die Telefonzelle stellt dafür den passenden Raum, ist sie doch ein transparenter Ort inmitten der Öffentlichkeit, in dem ein Hauch von Privatsphäre erzeugt werden soll. In unserer Zeit der mobilen Kommunikation ist die Telefonzelle bereits zu einem überkommenen Relikt geworden. Die Grenzen von Privat und Öffentlich sind gerade mit neuen Kommunikationstechnologien und neuen Medien aufgehoben. Was vor nicht allzu langer Zeit noch im geschlossenen Raum der Telefonzelle geschah, wird heute an die Öffentlichkeit getragen – ihr geradezu aufgezwungen. Die Klebebandformen im Innenraum verweisen auf diese Mittler: Der Monitor eines Computers, der uns Zugang zum weltweiten Netz erlaubt; die Kamera, die uns in öffentlichen Räumen beobachtet und überwacht; das Teleskop oder Fernrohr, das den Blick aus der Ferne in den Privatraum öffnet.
Dominik Imhof